Wanderreportage vom Wanderweg Biosfärleden

Herbstgenuss in Wanderstiefeln

Auf dem Biosfärleden entlang des Vänern erlebe ich ein babyfreundliches Wanderabenteuer. Meine Freundinnen Melanie und Victoria, meine zehn Monate alte Tochter Lovisa und ich machen uns auf den Weg durch eine spektakuläre Landschaft am Tafelberg Kinnekulle mit gemütlichen Bed and Breakfasts und kulinarischen Köstlichkeiten.

Text: Karen Hensel
Fotos: Melanie Haas

Gemeinsam auf ein Wanderabenteuer zu starten, gehört jedes Jahr zum festen Programm von Melanie, Victoria und mir – und nun auch für meine kleine Tochter. Für unser diesjähriges Abenteuer haben wir den Biosfärleden auserkoren, einen 140 Kilometer langen Wanderweg, der am Dom von Mariestad beginnt und sich durch das Biosfärenreservat am Vänern, vorbei am Tafelberg Kinnekulle, schlängelt.

Dabei führt er nicht nur durch eine geologisch einzigartige, zum UNESCO Geopark ausgezeichnete Region Westschwedens, sondern lässt sich auch mit Kind entspannt begehen, indem einzelne Etappen mit der Kinnekullebanan (die als Schwedens schönste Bahnstrecke gilt) angesteuert werden können.

Vergangene Zeiten

Fasziniert von dem historischen Ambiente laufen wir durch die engen Gassen Mariestads und erspähen den in der Sonne glitzernden Vänern, während Lovisa in ihrer Babykraxe schnarcht. Es geht hinein in das Naturreservat Ekudden, in dem majestätische Eichen thronen. Viele müssen über 1000 Jahre alt sein.

Sonnenstrahlen blinzeln durch die Wipfel. Am Seeufer lassen wir uns nieder. Lovisa krabbelt zwischen den Steinen, während wir uns Sandwichs und Kaffee, den wir in Thermoskannen mitgebracht haben, schmecken lassen. Hoch über unseren Köpfen zieht ein Seeadler seine Kreise. Fast vergessen wir die Zeit. Doch dies ist nur der Auftakt unseres Abenteuers.

Nach kurzer Zugfahrt erreichen wir Lungnås. Hier haben sich Jesper Åkesson und seine Frau Pia Persson mit dem STF Lugnåsberget Ekohotell einen Traum erfüllt - im Einklang mit der Natur lebend, beziehen sie die meisten Rohwaren aus eigenem Anbau. Solarzellen sorgen hier grösstenteils für Strom und Schafe halten das Gras auf dem Grundstück kurz.

Pia zeigt uns die direkt am Biosfärleden gelegene Quarnstensgruva, eine stillgelegte Grube, die Europas einzige zugängliche Mühlsteinmine ist. Sie berichtet, wie Menschen früher Steine aus dem Berg schlugen. Dann zeigt sie uns die Abdrücke wirbelloser Tiere im Gestein und erinnert uns daran, dass sich hier vor 500 Millionen Jahren noch ein warmes Meer befand, in dem heute längst ausgestorbene Kreaturen lebten.

Die letzten Sonnenstrahlen geniessen wir im Garten des Ekohotells. Victoria, Lovisa und ich stürzen uns auf die Schaukel. Anschliessend schmausen wir das von Pia und Jesper liebevoll zubereitete Abendessen aus geräuchertem Lamm, Bohnensalat und Kürbisküchlein. Als Lovisa später friedlich schläft, feuern Victoria und ich die Holzsauna an.

Auf zu neuen Ufern

Am nächsten Morgen erwartet uns ein grosser Frühstückskorb. Lovisa spielt mit Duplosteinen, während Melanie, Victoria und ich uns den Kaffee schmecken lassen. Heute wollen wir mit dem Zug bis in das Örtchen Hällekis fahren, um von dort auf die fünfte Etappe des Biosfärledens zu starten.

Wenig später geht es durch einen dichten Nadelwald. Wir wandern parallel zum Vänern. Magisch von dem Gewässer angezogen, schreiten wir hinunter an den Sandstrand. Schweigend blicken wir in die Ferne und lauschen den Geschichten des Sees, die von einer schwachen Brise ans Ufer gespült werden.

Weiter geht es über knorrige Wurzeln entlang märchenhaft gewundener Pfade. Wattige Wolken ziehen über uns hinweg. Vorbei an Koppeln, auf denen Pferde toben, erreichen wir das Hällekis Kök und Trädgårdscafé auf dem Gutshof Hällekis.

Im Restaurant entscheiden wir uns für ein von den Köchen Micke und Fredde kunstvoll angerichtetes Risotto, garniert mit Walnüssen und Pfifferlingen aus der Umgebung. Zum Nachtisch lassen wir uns Waffeln mit Moltebeeren schmecken. Während wir die letzten Bissen verzehren, stößt Sofia Hultman zu uns, die für den UNESCO Platåbergens Geopark arbeitet und uns mehr über die Region erzählen kann.

Der blühende Berg

Während wir gemeinsam weiter wandern, berichtet uns Sofia, dass der Kinnekulle, an dessen Fusse wir uns nun befinden, auch der blühende Berg genannt wird. Aufgrund seiner besonderen Sedimentschichten kann er eine ungewöhnliche Fauna vorweisen, die seltene Vögel, Schmetterlinge und Käfer anzieht. Grosse Teile des Kinnekulle, auf dem sogar Orchideen blühen, sind als Naturschutzgebiet ausgewiesen.

Wir steigen immer weiter hinauf und erspähen einen gewaltigen Kalksteinbruch, der, wie Sofia verrät, auch der Kleine Grand Canyon genannt wird. In seinem Inneren schimmert ein blauer See. Ein Wanderfalke fliegt über uns hinweg.

Weiter laufen wir durch diese surreale Kulisse, in der sich eigentümliche Gesteinsplatten auftürmen. Ein leichter Wind säuselt in den Birkenblättern. Später verabschieden wir uns von Sofia und setzen unseren Weg alleine fort.

Am Trolmen B&B nimmt uns Katrine Høydahl in Empfang. Sie und ihr Mann Carl leben vegan und so besteht alles, was ihre Küche verlässt, aus pflanzlichen Rohwaren - viele aus dem eigenen Garten. Im Esszimmer gibt es kistenweise Spielzeug über das Lovisa herfällt, während Katrine uns eine Lasagne bereitet und zum Nachtisch frisch gebackene Zimtschnecken aus dem Ofen zaubert. Wenig später werden die Augenlieder schwer und wir kuscheln uns in die gemütlichen Betten.

Zimtschnecken und Melancholie

Als wir am nächsten Tag unsere Rucksäcke gepackt haben, geht es nach einem ausgiebigen Frühstück mit Kaffee, Porridge, Obst und frisch gebackenem Brot zurück zum Biosfärenleden. Nachdem wir in eine Abkürzung nehmen und durch eine Hecke schlüpfen, führt er uns entlang alter Steinmauern. Ein Kirchturm am Horizont verrät den nächstgelegenen Ort. Wir passieren eine Herde weißer Rinder, die im Gras weiden. Irgendwann fängt es an zu nieseln, aber das gelbe Blätterdach, unter dem wir laufen, hält die grossen Tropfen von uns ab.

Unser Ziel ist das Café Klostret in der Nähe von Källby, wo Konditorin Lena Svedung eine Bäckerei eröffnet hat. Dort angekommen entscheiden wir uns für eine Tomatensuppe, bevor es zum Nachtisch geht – Vanillebrötchen und Karottenkuchen. Es fühlt sich an, als könnten wir ewig hier in der gemütlichen Scheune sitzen und das köstliche Backwerk schmausen, aber wir müssen weiter.

Nach einem 20-minütigen Spaziergang vorbei an alten Bauernhöfen und Schafställen endet unser Abenteuer am Bahnhof in Blomberg. Ein Gefühl der Melancholie beschleicht uns. Dieses Fleckchen Erde hat uns verzaubert. Wir kommen wieder.

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